Die Lektion

Die Lektion

Herr Krumke war Inhaber eines kleinen Steuerbüros mit sieben Mitarbeitern.

Er galt als tüchtig, aber auch als jähzornig – einer, der stets das letzte Wort hatte. Seine Mitarbeiter kannten seinen barschen Ton und den Blick, mit dem er sie von oben herab musterte. Respekt war für ihn ein Fremdwort.

Eines Samstagmorgens beschloss Krumke, endlich den neuen Toilettenpapierhalter anzubringen. „Das dauert keine fünf Minuten“, murmelte er und griff zur Bohrmaschine. Dass genau an dieser Stelle die Wasserleitung verlief, kam ihm nicht in den Sinn.

Ein schrilles Zischen, dann ein Strahl eiskalten Wassers. Innerhalb weniger Sekunden stand das Bad unter Wasser. Fluchend rannte er durch die Wohnung, bis er endlich den Absperrhahn fand.

„Verdammter Mist!“, keuchte er, durchnässt und wütend auf sich selbst.

Nachdem er sich beruhigt hatte, wälzte er die Gelben Seiten. Nur eine Firma war bereit, kurzfristig zu kommen – Krüger & Sohn.

Zwei Tage später klingelte es pünktlich. Vor der Tür stand ein junger Mann mit sauberem Blaumann und freundlichem Gesicht.

„Krüger, Installateur. Sie haben ein Leck?“„Ja, hier entlang“, knurrte Krumke und führte ihn ins Bad.

Der junge Handwerker sah sich um, schätzte die Lage ein und begann ruhig zu arbeiten. Mit geübten Handgriffen schnitt er die Fugen auf, löste die Fliesen, stemmte das Rohr frei und lötete das Loch zu. Danach verspachtelte er die Öffnung und setzte die Fliesen wieder ein. Nach nicht einmal zwei Stunden war alles dicht.

„Fertig“, sagte er knapp.

Krumke betrachtete das Ergebnis. „Und was kostet mich der Spaß?“

„An- und Abfahrt plus Reparatur – 240 Euro.“

Krumkes Gesicht lief rot an. „240 Euro? Das ist Wucher! Sie waren kaum zwei Stunden hier, Materialkosten null! Mehr als 120 zahle ich nicht!“

Der junge Krüger versuchte ruhig zu erklären, dass er sorgfältig gearbeitet und die Fliesen unbeschädigt erhalten habe – ein Aufwand, der seinen Preis habe. Doch Krumke hörte gar nicht zu.

„Sie wollen mich doch ausnehmen! Schämen Sie sich! Ich bin nicht blöd!“ schrie er.

Einen Moment lang herrschte Stille. Dann griff der Installateur wortlos in seinen Werkzeugkasten, nahm die Bohrmaschine, drehte den Absperrhahn zu – und bohrte ein neues Loch genau an der alten Stelle.

Krumke stand wie versteinert da. Das Geräusch der Bohrmaschine hallte in seinem Kopf nach.

„Sind Sie verrückt geworden?!“, brüllte er. „Was fällt Ihnen ein?!“

„Ich habe nur den Urzustand wiederhergestellt“, sagte Krüger ruhig und begann, sein Werkzeug einzupacken. „Ich habe beschlossen, respektloses Verhalten nicht länger hinzunehmen. Und bei Ihnen fange ich heute an.“

Krumke schnappte nach Luft. „Ich verklage Sie! Ich zeige Sie an! Sie werden schon sehen!“

„Tun Sie, was Sie für richtig halten.“ Krüger legte ihm seine Visitenkarte auf den Tisch. „Damit Sie wissen, wen Sie verklagen wollen.“ Dann verließ er das Haus – und ließ einen sprachlosen Krumke zurück.

Am nächsten Tag hatte sich Krumke beruhigt. Wut war geblieben, aber auch ein Anflug von Scham. Er musste den Schaden ja wieder reparieren lassen.

Nach vielen Absagen fand er schließlich einen Installateur – allerdings erst in drei Wochen.

Als der Mann kam, arbeitete er gründlich, aber nicht zimperlich. Die Wand wurde großflächig aufgestemmt, Rohre ersetzt, Muffen gesetzt. Nach zwei Stunden war das Leck dicht.

„Sie sind doch noch gar nicht fertig!“, meinte Krumke irritiert.

„Ich bin Installateur, kein Fliesenleger. Für die Wand brauchen Sie eine andere Fachkraft.“

Krumke stöhnte. „Können Sie jemanden besorgen?“

„Ich versuch’s.“

Zwei Wochen später erschien der Fliesenleger. „Haben Sie noch Ersatzfliesen?“ fragte er.

Krumke schüttelte den Kopf.

„Dann wird’s schwierig. Ich schau, was ich auftreiben kann.“

Eine Woche darauf kam er zurück, hielt ein paar Fliesen an die Wand und nickte.

„Fast derselbe Farbton. Nicht ganz, aber nah dran.“

Krumke seufzte. „Mach’s einfach.“

Nach ein paar Stunden war alles wieder geschlossen. Nur bei schrägem Licht sah man, dass die Fliesen nicht mehr ganz passten. Eine kleine Narbe – Erinnerung an einen großen Fehler.

Drei Tage später lag die Rechnung im Briefkasten:

  • Installateur: 480 €
  • Baustellenkoordination: 90 €
  • Fliesenarbeiten: 340 €
    Gesamtsumme: 910 €

Krumke schluckte.

Er saß lange im Sessel, dachte an das, was passiert war, und wusste, dass er es selbst verschuldet hatte. Arroganz hatte ihn teuer zu stehen gekommen – nicht nur finanziell.

Zum ersten Mal fragte er sich, wie er eigentlich auf seine Mitarbeiter wirkte.

Ein paar Tage später fiel es auch seinen Angestellten auf.

„Unser Chef ist irgendwie anders“, sagte einer. „Er hat meine Arbeit gelobt!“

„Bei mir hat er gestern meine Teamfähigkeit besonders hervorgehoben“, ein anderer. „Ich dachte, ich hör nicht richtig.“

Und tatsächlich – Herr Krumke hatte etwas gelernt.

Eine Woche darauf klingelte er bei Familie Krüger. Der junge Installateur öffnete die Tür – erstaunt, aber höflich.

„Herr Krüger“, begann Krumke, „ich möchte mich für mein Verhalten neulich entschuldigen.“

Er reichte ihm ein Kuvert. „Hier das Geld, das ich Ihnen noch schulde.“

Dann drehte er sich zum Gehen, hielt kurz inne, lächelte und sagte:

„Und danke für die Lektion, die Sie mir erteilt haben. Ich glaube, die war nötig.“

Er ließ einen sprachlos lächelnden Installateur in der Tür stehen.

Hummelflug

Hummelflug

Eine Biene fliegt mettrunken, nektarbeladen und mit Blütenstaub auf den schweren Augenlidern mit schwankendem Flug aus dem Rapsfeld.

Eine schwer pollenbeladene, verträumte Hummel kreuzte ihre Flugbahn.

Die Biene prallte in die Hummel. Durch die Erschütterung verlor sie ihr Gleichgewicht, stürzt ab und landete hart auf dem Ackerboden.

Die Hummel flog mit leicht stotterndem Flug, unbeirrt der Kollision, wie ein schwer beladener Tanker auf ihrer Flugbahn weiter.

Da lag die angeschlagene Biene, desorientiert, erschöpft und ratlos.

Ein Flügel leicht abgeknickt und die Pollenladung verrutscht.

Vorsichtig ging sie alle Glieder durch da hörte sie eine brummende Stimme:

„Na meine Kleine hast du schon einen Schadensüberblick?“

Die Hummel war zurückgekommen.

Als sie den Aufprall verspürte, dachte sie sich schon, dass sie mit ihrer Masse ein Flugobjekt aus seiner Bahn katapultiert hat.

„Ich glaube, es geht wieder“, antwortete die Biene.

„Ich brauche nur etwas Starthilfe.“

Die Hummel rutschte unter die Biene und wuchtete sie auf die Beine.

„Bei drei starten wir gemeinsam“, brummte sie.

Eins, zwei, drei – und ein seltsames Gespann erhob sich langsam, mehr brummend wie summend, vom Boden und torkelte in den blauen Himmel.

Später schrieb ein weltbekannter Entomologe in der Jahreszeitschrift, er habe eine Hummel beobachtet die eine flügellahme Biene auf dem Rücken trug.

Der Klimawandel hat Einfluss auf das Sozialverhalten der Insekten, und vielleicht bringe die Evolution neue Arten hervor – z.B. eine Humm-Bie.